Der Pas de deux  und das Duett der Kraniche (Grus grus)

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Mit hellen „Trompetenklängen“ künden sie ihre eigene Rückkehr an und erfreuen so die wintermüden Menschenherzen; denen sie damit den nahenden Frühling verkünden, die grauen Kraniche ziehen in ihren typischen Formationen in die Sumpf- und Moorlandschaften des östlichen und nördlichen Europas zurück. Anmutig und graziös bewegen sich die großen eleganten Vögel in der frühen Morgendämmerung auf freien Flächen und Wiesen, wenn sie mit ihren Balztänzen beginnen, die am intensivsten in der Zeit des Erwachens der Natur zu erleben sind. Ja, es scheint sogar, dass man Begriffe aus dem Glossar des Balletts anwenden könnte auf ihre Bewegungen, ihre Schritte: Oft beginnen sie mit einer „Révérence“, einer Verbeugung, und dieses großartige Flügelschwingen, zeigt es nicht die vornehmen „Port de bras“ (Armbewegungen) der Ballett-Tänzer? Mühelos lassen sich auch die Sprünge und Verneigungen unter „Sauté“ (Sprung) bzw. „Jété sauté“ (Sprung von einem Bein auf das andere) oder „Temps levé sauté“ (Sprung von einem Bein auf dasselbe Bein) einordnen, gelegentlich ist fast ein „Soubresaut“ zu sehen in zurückgebeugten Kranichkörpern. Doch dieses außergewöhnliche, harmonische „Pas de Deux“ der Kraniche zeigt ihren Hochzeitstanz in allen seinen Ausdrucksformen, die schließlich zu Paarungen und Nestbau – vorzugsweise aus Schilf, Binsen und Riedgräsern, neben anderen Pflanzen – führen mit der nachfolgenden Putzphase und dem Beginn des „Duetts“, mit dem das Paar Zeit seines Lebens seine Verbundenheit und die Zusammengehörigkeit signalisiert. 

Foto c) Mario Maeller, Darss-Fotograf)
Foto c) Mario Maeller, Darss-Fotograf)

Es scheint ziemlich gesichert, bis auf wenige Ausnahmen, dass diese in „distinguiertem“ Grau gekleideten Vögel mit dem roten „Kopfputz“ eine dauerhafte Lebensgemeinschaft eingehen. So beginnen vier bis sechs Wochen nach ihrer Ankunft die Weibchen mit dem Brutgeschäft und legen ab März bis April meist zwei längsovale Eier, mit einem runden und einem spitzen Pol, im Abstand von 2 bis 3 Tagen. Die Bebrütung (Brutzeit 29-31 Tage) der hellbraun bis grünlich, rötlich bis rötlich-braun gefärbten, grob braun gefleckten, etwa 185 g schweren Eier (57-66 mm in der Breite, 88 bis 110 mm in Länge) beginnt zunächst mit einem Ei (Schlüpfen der Jungen im Abstand von ein bis zwei Tagen) durch beide Partnern im Wechsel, so dass jedem genügend Zeit zur Nahrungssuche bleibt mit unregelmäßigen Brutablösungen einer durchschnittlichen Bebrütungszeit zwischen 1,6 bis 4,5 Stunden, so dass – unter Einbeziehung der Nacht – die Brutdauer insgesamt 12 Stunden oder mehr betragen kann. Faktoren wie Bebrütungszustand, Außentemperaturen, Niederschläge und Tageszeit entscheiden über das Aufstehen, gelegentliche Verlassen des Nestes bzw. die Brutpausen. Vor dem erneuten Bebrüten werden die Eier mit dem Schabel gewendet. 

Kranichnest, Fotograf c) Christian Fisch
Kranichnest, Fotograf c) Christian Fisch

Wesentlich nervöser zeigen sich Kranicheltern kurz vor und mit dem Schlüpfen der zimtfarbenen Küken in daunenfedriger Gewandung, die nach ungefähr nach 24 Stunden sicher gehen und stehen können, und halten sich während dieser Zeit zumeist in der Nähe des Nestes auf. Die kleinen Nestflüchter werden schon nach 30 Stunden vom Nest weggeführt, beide Altvögel kümmern sich nun gleichermaßen um das Füttern der Küken unter Darreichen von Würmern, Insekten, Larven und Schnecken mit den Schäbeln auf kleinen Wegstrecken, vom Nest hinweg. Zwar zeigt sich bei Kranichjungen nicht unbedingt ein sog. „obligatorischer Kainismus“, doch versuchen oft die älteren Kranichküken das jüngere Geschwister aus dem Nest zu drängen und mit Schnabelhieben zu traktieren, wenn sie im Nest allein gelassen werden: Kurzfristige Aggressionstriebe, die nach ein bis zwei Wochen verschwinden. Friedlich besucht nun die Familie ihre bevorzugten Aufenthaltsorte in Feld, Wald und Wiesen, verständigt sich mit leisem Kontaktgurren oder auch lauten Rufen bei starken Störungen, um die Jungen auch aus der Ferne zu warnen. Mit Schnabelhieben und Flügelschlagen, gelegentlich sogar durch Treten, versuchen die Altvögel gelegentliche Angreifer zu vertreiben bzw. auch zusammen mit der Familie Reviereindringlinge einzuschüchtern, u. U. mit dem sog. „Verleiten“ (besonders bei zuviel menschlicher Nähe): Ein offenbar „hinkender“ und „flügellahmer“ Kranich mit vorgestrecktem Hals führt von der zu schützenden Familie hinweg und erholt sich dann - in gebührendem Abstand - auf „wundersame Weise“. 

Es liegt überhaupt etwas „Wundersames“ um die Kraniche in ihren fest umrissenen Tagesabläufen, die in der ersten frühen Dämmerung beginnen mit der Futtersuche am Vormittag und frühen Nachmittag, unterbrochen von Putz- und Ruhephasen. Auch die drei verschiedenen Sozialformen der Kranichverbände erweisen sich als Besonderheit: Während der Sommerzeit leben die Brutpaare allein in ihren Revieren, die Nichtbrüter schließen sich in Gruppen zusammen, jedoch den überwiegenden Teil des Jahres verbringen Kraniche in Gemeinschaft mit Artgenossen unterschiedlichen Alters an Sammel- und Rastplätzen. Einer besonderen Bedeutung kommt der haarlosen roten Platte am Oberkopf der Kraniche bei der Regelung des komplexen innerartlichen Verhaltens zu: Sie schwillt bei unterschiedlichsten Erregungszuständen an. 

Gewöhnlich treffen Nichtbrüter 3 bis 4 Wochen nach den Brutpaaren ein, verhalten sich unauffälliger, sind weniger ruffreudig und verständigen sich fast heimlich. Ohne eine bestimmte Hierarchie halten sie sich in variablen gemeinschaftlichen Gruppen oft in der Nähe der Brutheimat auf, manchmal zusammen mit Durchzüglern auf dem Weg nach Norden und Osten, oder erkunden bisher unbesiedelte Gebiete als Vorhut für Neuansiedelungen. Nachdem sie sich von April bis Ende Juli auf Wiesen und Weiden mit Nahrung versorgt haben, treffen sie sich – zunächst mit den erfolglosen Brutpaaren – auf ihren bekannten Rast- und Sammelplätzen Ende Juli/Anfang August mit einem festen Tagesrhythmus: Schlafend im Flachwasser, suchen sie in der ersten Morgendämmerung rufend Kontakt, schütteln das Gefieder frei und starten mit dem Sonnenaufgang. Nebelige Tage oder schlechte Witterungsverhältnisse können den Abflug verzögern, doch die Zahl der Vögel nimmt im Laufe des Nachmittags zu und kann eine Größe von 100 bis 40000 Kranichen erreichen.

 

Ein sensibles Gefüge, das den Jungen Schutz und ausreichend Möglichkeiten zur Nahrungsaufnahme bietet, aber sich auch als sehr störanfällig erweist; ein Faktum, von dem jeder Fotograf „ein Lied zu singen weiß“. Nur die kleinste Regung, die die Aufmerksamkeit eines einzigen Kranichs erweckt, macht im Aufrauschen des Schwarms alle Hoffnung auf das einzigartige Bild zunichte. Ob „Gefahr im Verzug“ oder „Futter in Sicht“, in allem funktioniert das besondere Verständigungsprinzip der Kraniche auf hervorragende Weise.

c) Tina Nord
c) Tina Nord

Sieh da, sieh da, Timotheus – die Kraniche des Ibykus“, dieser Ruf aus dem berühmten Gedicht Schillers kommt immer wieder in den Sinn, wenn sie unter unserem Himmel hinwegziehen: Aber es ist nicht die Furcht vor der Rache der Eumeniden, die uns im Herbst mit Schwermut erfüllt, sondern der Hinblick auf die kommenden „dunklen Tage“ des Winters, doch um so freudiger begrüßt, wenn ihre „Trompeten“ hell uns das Frühjahr verkünden.

c9 I: Udelnow
c9 I: Udelnow

  

 

Sie galten einst als Vögel des Glücks, waren Symbole der Wachsamkeit und Klugheit. In der Heraldik mahnt der Kranich zur Vorsicht und schlaflosen Wachsamkeit, aber die Dichtkunst sieht in dem  Symbol des Kranichs  die Erhabenheit der Natur.